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In meinen Träumen

Unmerklich hat sich etwas in meine Träume geschlichen, seit du mich unterrichtest. Es verfolgt mich Nacht für Nacht. Auch heute erwache ich schon in der Früh, die verblassende Spur eines Traumes als winziger Abdruck im weichen Sand meines Bewusstseins. Sie lässt sich nicht mehr greifen, die Erinnerung an diesen Traum, gleitet mit jedem Atemzug weiter und weiter ins Bodenlose, doch das Gefühl, das sie hinterlässt, erfüllt meinen Körper mit einer seltsamen Unruhe, die mich lange nicht loslassen will. Ich bin mir sicher, dass es nicht immer derselbe Traum ist, aus dem ich erwache. Ich kann es spüren. Manchmal weckt mich das heisere Keuchen meines eigenen Atems, begleitet vom rhythmischen Trommelschlag meines Herzens. Ein anderes Mal fühle ich mich fast zum Zerreißen gespannt, wie die hauchdünne Sehne auf dem schlanken, hölzernen Bogen eines Kriegers, jede Sekunde bereit, den tödlichen Pfeil seinem Ziel entgegenzuschicken. Wachsam. Durstig. Und voller Ungeduld. Die wenigen Male des Erwachens, in denen ich meinen Körper schwer auf der Matratze spüre, seltsam erschöpft und von einer wohligen Sattheit erfüllt, sind besonders kostbar. Ich weiß, dass das alles mit dir zu tun hat. Jeden Tag verbringe ich in einer Mischung aus beglückender Vorfreude und schleichender Angst. Angst, du könntest einfach nicht auftauchen, krank geworden sein, mich im Stich lassen. Allein mit meiner unerfüllten Sehnsucht und einer unendlich scheinenden Reihe von Tagen bis zum nächsten Mal.
Heute.
Als es an der Tür klingelt, macht mein Herz einen gewaltigen Sprung. Für eine ganze Stunde wirst du mir gehören. "Hey", sagst du und "Hey" murmele ich hastig zurück. Ich muss mich zwingen, dir ins Gesicht zu sehen, obwohl ich bereits fühlen kann, dass sich meine Wangen wie im Fieber zu röten beginnen. Flüchtig lächle ich dich an, kann dir nicht in die Augen sehen dabei und verfluche meinen Körper für seinen offenkundigen Verrat, während ich schnell den Blick wieder abwende. Dann stehen wir sekundenlang bewegungslos einander gegenüber, bis du dich schließlich dicht an mir vorbeischiebst und vor mir die Treppe zu meinem Zimmer heraufzusteigen beginnst. Wie jedes Mal spüre ich das bereits vertraute innere Drängen, meinen Blick wandern zu lassen. Verstohlen schleichen meine Augen deine Schultern hinab, entlang deiner Oberarme, der geschwungenen Beuge deiner Ellbogen folgend, um schließlich genussvoll auf dem Teil deines Körpers zu verharren, der mich schon von Anfang an in seinen magischen Bann gezogen hat.
Ich bin verrückt nach deinen Händen.
Hände, die, in meinem Zimmer angekommen, lässig deine Jacke zu Boden fallen lassen um dann nach dem schwarzen Koffer zu greifen, den sie zuvor vorsichtig an die Wand gelehnt haben. Behutsam öffnest du die silbernen Verschlüsse , die mit einem satten Klacken nachgeben und hebst sie sanft aus ihrem Bett aus rotem Samt, in dem sie die ganze Zeit nur auf dich gewartet hat, gewartet, genau, wie ich es Woche für Woche tue. Sie ist eine wirkliche Schönheit. Schlank und anmutig, aus dunklem gemasertem Holz, mit sanft geschwungenen Rundungen, schwarz und glänzend. Deine Hände umfassen ihren Körper, wie sie es schon unzählige Male getan haben und doch ist jede eurer Begegnungen eine neue, einzigartige Erfahrung. Und dann beginnst du zu spielen. Spielst virtuos dein Instrument, mit einer so tiefen Hingabe, dass es mir die Kehle zuschnürt. Ich beobachte dich. Die Augen hast du geschlossen. Du brauchst sie nicht für das, was du tust, deine Finger finden den Weg ganz von selbst. Ohne Zögern wandern sie über die Saiten, gleiten langsam das Griffbrett auf und ab, streichen zart über das Metall, necken und zupfen, bis sie unter deinen Fingern verhalten zu zittern beginnt.Vibrierend erwacht Saite für Saite zum Leben, fügt sich deiner fordernden Berührung mit leisen, metallenen Seufzern, die sich ganz allmählich zu einer sehnsüchtigen Melodie vereinen. Schlanke Hände, auf deren Handrücken ein zarter goldener Flaum das Sonnenlicht einfängt.
Die Schönheit dieser Hände lässt mir jedes Mal aufs Neue den Atem stocken. Schmale, feingliedrige Finger. Die Nägel kurz und schmerzlos. Faszinierende Hände, die es verstehen, neben der sanften Melodie auf dem Instrument unaussprechliche Wünsche in meinem Innern zu erschaffen, mich voller Leidenschaft zu berühren, ohne mich je angefasst zu haben. Eine Sehnsucht anzutasten, die so tief in mir verborgen schlummert, dass nur der lockende Klang des Instruments sie zu wecken vermag. Gespannt, wie die Saiten deiner Gitarre, lausche ich deinem Spiel und möchte Teil der Melodie werden, eine Saite unter deinen Fingern, ein vibrierender Laut, geschaffen durch deine Berührung. Ich spüre, wie die Hitze sich langsam in meinem Körper ausbreitet, zuerst ein sanftes Glühen zwischen meinen Beinen. Dann winzige Funken, die heller und heller auflodern, bis sie schließlich ein knisterndes Feuer entfachen, das mich zu verschlingen droht. Ich versuche, das Zittern meines Körpers zu unterdrücken und bin dankbar dafür, dass du die Augen noch immer geschlossen hast. Ich bemühe mich, ruhig und gleichmässig weiterzuatmen, während meine Lungen sich danach sehnen, gierig die Luft einzusaugen, um das Feuer in mir zu kühlen, oder vielleicht, um es weiter anzufachen, damit es endlich zu seiner vollen Kraft gelangen kann. Die Zeit scheint stillzustehen. Dann, vollkommen unerwartet, öffnest du die Augen und schaust mich an. Lächelst. Fährst fort, der Gitarre mit herausfordernder Zärtlichkeit ihre betörende Melodie zu entlocken und beobachtest mich dabei unverwandt. "Er weiß es", schießt mir der plötzliche verstörende Gedanke durch den Kopf. Heiß steigt das Blut in meine Wangen. Ich spüre, dass mir die Tränen kommen, so nackt und verletzlich fühle ich mich in diesem Augenblick. Aber ich kann es jetzt nicht mehr aufhalten. Zu spät. Die Woge, die über mich hinweg spült ist klar und gewaltig. Ich schließe die Augen und ringe nach Luft, um nicht in ihr ertrinken zu müssen. Dann reißt sie mich mit sich an einen Ort, an dem Angst und Scham nicht mehr existieren. Als ich wieder auftauche, ist das Feuer erloschen. Was bleibt, ist die warme Feuchtigkeit zwischen meinen Schenkeln und die salzigen Tränen auf meinem immer noch erhitzten Gesicht. Ich wage nicht, die Augen zu öffnen. Ich höre, wie du langsam aufstehst und die Gitarre zur Seite stellst. In irgendeinem Winkel meines Verstandes registriere ich, dass du sie nicht wie sonst sanft in ihren Kasten zurücklegst, sondern sie achtlos zu Boden gleiten lässt, wo sie mit einem dumpfen Laut auf dem Teppich aufschlägt und verstummt. Dann bist du bei mir, ganz nah, ich kann die Hitze deines Körpers spüren und erkenne darin mit ungläubigem Staunen das Spiegelbild meines eigenen Begehrens. Du beugst dich zu mir herunter, noch näher jetzt, und dann tust du, wonach ich mich sehne, seit ich dich das erste Mal gesehen habe. Berührst mich endlich, lässt mich deine Hände spüren, warme Haut und kitzelnden Haarflaum. Es ist mein Gesicht, das du mit deinen Händen berührst, aber mir scheint es, als könne ich dich, deine Hände, auf meinem ganzen Körper fühlen. Mit den Fingerspitzen streichst du zart über meine tränen-feuchten Wangen. "Du warst so schön", flüsterst du dann dicht an meinem Ohr. Ich wünschte ich könnte dir antworten, aber ich finde noch keine Worte für das, was ich dir sagen möchte. Ich schmecke salzige Tränen auf deinem Zeigefinger, als meine Lippen ihn ganz behutsam umschließen und sanft zu saugen beginnen. Der Laut, der aus deinem halbgeöffneten Mund dringt, ist rau und voller Sehnsucht. Plötzlich weiß ich genau, was du dir wünschst, vielleicht schon seit dem ersten Mal, als du in meiner Gegenwart mit sanften Fingern deine Gitarre berührt hast, als wäre sie deine Geliebte. Nun ist es an mir, das Spiel fortzusetzen. Meinen Körper dicht an deinem, kann ich deutlich spüren, wie begierig es dich zu erfahren drängt, welche Melodie ich für dich komponieren werde. Vielleicht kann ich noch einmal zurückkehren, an diesen Ort, an dem ich eben noch gewesen bin. Vielleicht kann ich dich dorthin mitnehmen? Ich schließe die Augen und überlasse es meinen Händen, den Weg zu finden.